7.Kapitel: Familie

Ungeniert, erhob sich Fenrir und stieg aus der Badewanne aus, in welcher das Wasser inzwischen nur noch lauwarm war. Benjamin hingegen, ließ es sich nicht nehmen, die junge Frau anzustarren, die offenbar absolut kein Problem damit zu haben schien, dass sein Blick auf ihrer Blöße lag.

Sie drehte ihm den Rücken zu, als sie nach dem Handtuch griff, das Layla ihr vorhin auf den Beistellständer gelegt hatte. Als sie sich trocken rieb, betrachtete sie Ben aus dem Augenwinkel heraus, nachdem sie sich etwas seitlicher zu ihm gedreht hatte. 

Noch immer war er nicht viel größer als ihre Hand und noch immer saß er in voller Montur auf dem Badewannenrand, während sein schokoladenfarbener Blick abwesend an ihr hängen blieb.

Sie hatte inzwischen verstanden, was Ben ihr vorhin hatte sagen wollen, doch wenn Fenrir ehrlich zu sich selbst war, dann empfand sie keine Scham, ihren Körper so offen zur Schau zu stellen.

Immerhin, es lag nichts in seinem Blick, dass sie ängstigen sollte.

Es gab keine Gier, vor der er sie gewarnt hatte. Nur Bewunderung für einen üppig gebauten Körper.

Es brachte sie dazu, an sich hinab zu sehen.

Noch immer zierten unzählige Blessuren ihren Körper, wenn sie an sich hinab sah und noch immer breitete sich ein schlechtes, sehr ungutes Gefühl in ihr aus, wenn sie all diese Verletzungen sah.

Was ihr wohl wiederfarhen war?

Wie hatte sie sich überhaupt in eine solch bizarre Situation bringen können, dass sie nicht einmal mehr wusste, wer sie war?

In ihren Gedanken versunken hatte sie das Handtuch sinken lassen und starrte nun viel mehr auf den Boden zu ihren Füßen. Benjamin, der inzwischen aus seinen Gedanken wieder aufgetaucht war, hob nun den Blick und sah der jungen Frau ins Gesicht.

Ihr violetter Blick war an einen fernen Ort gerückt, den Ben weder erreichen noch sehen konnte.

Und obwohl das Violett ihrer Augen ein wenig Glanz zurück erhalten hatten, war es ihm noch immer nicht genug.

Dann glitt sein Blick zu ihrem Haar und er begann sie im gesamten zu betrachten. Wo seine Augen zuvor nur an ihrem Körper gehaftet hatten, so sah er sie jetzt, wie sie vor ihm stand und im gesamten. Und was er sah, berührte ihn auf seltsame Weise.

Es sprach nicht nur seinen Körper als solchen an, sondern sprach noch etwas anderes an. Etwas, dass Fenrir in einem anderen Bild präsentierte.

Es war ein seltsames, entrücktes Gefühl, dass ihn ergriff.

Es fühlte sich an, als würde sich sein Körper fort bewegen und dennoch am gleichen Ort verweilen. Als wenn ihn eine Art Trance gefangen hielt.

Ein Bann, dem er sich nur schwer entziehen konnte.

Ihr rosanes Haar, dass wie ein Wasserfall ihren Rücken hinab lief und durch die goldenen, orangenen und hin und wieder blonden Strähnen, wie flüssiges Feuer wirkte.

Unwillkürlich fragte er sich, wie sich die einzelnen Strähnen unter seinen Fingern wohl anfühlen mochten? Weich und zart, beinahe schon seidig.

Und wie sie erst riechen mochten? Ein hauchzarter Duft von einer anziehenden Holznote, dazwischen, eine einzelne, rote Blüte, umgeben von erhitzten, Wüstensand.

Er hob den Blick und schaute in das violett ihrer Augen, das mit einem mal so nahe war.

Er hatte sich vorgebeugt und nach ihrem Haar gegriffen, von dem nun einige Strähnen in seiner Hand lagen und zum Teil seine Lippen berührten.

Er konnte sehen, wie sich ihre Wangen rötlich färbten, als das Blut ihr ins Gesicht schoss.

Er selbst fühlte und hörte kaum mehr, als das Rauschen seines Pulses in seinen Ohren.

Der Geschmack der Wüstenrose lag ihm auf der Zunge und er wollte mehr davon.

Ben hatte kaum bemerkt, dass seine Kraft nach gelassen hatte und er wieder in seiner ganzen Größe vor Fenrir stand, der nun deutlich mehr bewusst wurde, was es hieß, nackt vor ihm zu stehen.

Und dennoch... ihr Herz schlug heftig in ihrer schmalen Brust, alleine nur dadurch dass Ben ihr Haar berührte und es sogar küsste.

Doch wäre es nur das...

Seine dunklen Augen, die sich halb offen auf sie gerichtet hatten, besaßen etwas intensives.

Waren sie zuvor auch schon so dunkel gewesen?

Unwillkürlich zog es sie in den Bann und sie war nicht in der Lage dazu, sich zu bewegen, geschweige den zu Atmen.

Die Luft... sie knisterte.

Zwischen ihnen existierte mit einem mal etwas. Es fühlte sich dicht und heiß an. Schickte durch ihren Körper eine Hitzewelle nach der anderen.

Und dann öffnete Ben seine Augen ganz und sie erblickte Überraschung darin.

Und als wenn dies ein unsichtbares Zeichen gewesen wäre, ließ er ihr Haar fallen, ging an ihr vorbei und mit wenigen Schritten zur Tür, die er ohne ein Wort durchschritt.

Als die Tür ins Schloss viel, zuckte Fenrir zusammen und fuhr herum, doch Ben war verschwunden.

Hatte sie etwas seltsames getan?

 

~ * ~ * ~ * ~

 

Draußen auf dem Flur, fasste Ben sich ins Gesicht und gab ein Stöhnen von sich, bevor er mit dem Rücken gegen die Wand, neben der Tür fiel.

Was bei allen Göttern dieser Welt hatte ihn dazu bewegt, dies zu tun?

Was hatte ihn da geritten?

Nachdem er sich einen Moment Zeit genommen hatte, ließ er die Hand sinken, nur um in ein Paar hellgrüne Augen zu sehen. Eine feingeschwungene blonde Braue war nach oben gezogen, während Bens ältester Freund auf diesem Schiff mit vor der Brust verschränkten Armen vor ihm stand.

Obwohl so etwas wie ein Tadel in dem Grün zu sehen war, konnte er dennoch diesen leichten Glanz von Schalk darin erblicken.

Ben blinzelte einmal. Zwei mal, bevor er eine seltsame Grimasse zog und auf die Augen des anderen deutete.

"Ist es wieder so weit?", fragte er und sog die Luft durch seine Lungen um sie dann schwer wieder aus zu stoßen.

Der andere hob eine Hand und griff hinauf zu seinem Auge, als wolle er es berühren, nur um es dann doch zu lassen und seine Hand wieder sinken zu lassen.

Letztlich zuckte er nur mit den Schultern.

"Was ist mit dir?", fragte er und hob in einer lässigen Geste seinen Finger in Richtung Ben, welcher diesen Finger kurz betrachtete, bevor er schnaubte und seinen Freund entgegen sah.

"Was soll sein?", entgegnete er, hob das Kinn, schwoll die Brust leicht an und wandte sich ab um zu gehen.

Der andere grinste breit und beugte sich etwas vor, bevor er Ben folgte.

"Die Feuerrose, ich glaube sie hat es dir angetan", erklärte der Grünäugige, dessen Augen im Halbdunkel zu leuchten schienen, wie die Augen einer Katze.

Oder wie die Augen einer Fee, dachte Ben, als er so über die Schulter zu seinem Freund blickte.

Erneut schnaubte Ben abweisend und bog in den nächsten engen Gang, im Inneren des Schiffes. Nach nur wenigen Schritten, stieß ein durchdringender Geruch in seine Nase und regte seine Magenregion mit einem Schlag an. Was Ben auf den Gedanken brachte, wann er das letzte Mal was Ordentliches zwischen die Zähne bekommen hatte?

"Heute Morgen", beantwortete der Grünäugige die Gedanken des Kapitäns und Ben grummelte.

"Hör auf damit, ich hasse es wenn du das tust", knurrte er, doch hinter ihm ertönte bloß ein Kichern, wie von einem kleinen Jungen.

"Deswegen tu ich es", erklang die Stimme plötzlich sehr dicht an seinem Ohr und unwillkürlich jagdte es dem braunhaarigen Schiffskapitän einen kalten Schauer über den Rücken.

"Arrgh! Ich hasse es, wenn du so bist!", fuhr Ben gereizt herum, doch der Grünäugige war wie vom Erdboden verschluckt.

"Und trotzdem bin ich das Wertvollst auf diesem Schiff, dass du besitzt", ertönte die Stimme leise kichernd in den Gängen, schien von den Wänden wieder zu hallen wie ein entferntes Echo.

Ben wusste, dass er recht hatte. Er war tatsächlich das Wertvollste, was Ben besaß und er war froh um ihn, dennoch... wenn er ihn nicht ständig derart in den Wahn treiben würde, mit seinen Spielchen.

"Gib zu, es macht dir spaß." In der Luft über ihm, erschienen Lippen, die breit grinsten, doch es gab weder ein Gesicht, noch einen Körper zu diesen Lippen. Lediglich zwei grüne, leuchtende Augen erschienen über diesem Grinsen, deren Puppillen geschlitzt waren, wie bei einer Katze.

"Gib acht Ben, die Feuerrose birgt ungeachtete Gefahren. Sie wird einen Sturm über dich und dieses Schiff bringen und wenn du nicht acht gibst, dann wird dieser Sturm dir alles entreißen, was du dir so mühsam aufgebaut hast." Das Grinsen verebte und verschwand und nur das Paar grüner Augen verharrte noch einen Moment in der Luft über ihm, bevor auch dieses verschwand. "Sei gewarnt", echote die Stimme des Grünäugigen, bevor Stille einkehrte und sich nichts mehr rührte.

Benjamin stand lange im Gang und starrte an den Punkt in der Luft, wo er zu letzt das leuchtende Augenpaar gesehen hatte.

 

"Ben?" Angesprochener wäre beinahe zusammen gefahren, als Laylas Stimme hinter ihm ertönte und er zu ihr herum wirbelte. Die Ohren der Wolfsdame zuckten leicht, als ihr intensiver, roter Blick dort hin wanderte, wo Ben das leuchtende Augenpaar zu letzt gesehen hatte.

Sie hatte ihre Arme unter ihrer Brust verschränkt und ihr weißer Wolfsschwanz schwang hinter ihr, unruhig auf und ab, als wenn ihr etwas auf der Zunge liegen würde. Dann durchbohrte ihr prüfender Blick Ben und ihm wurde zusehends weniger wohl, unter dieser Musterung.

Sie öffnete Mund um etwas zu sagen und er hörte schon die geforderte Erklärung.

"Was ist mit Fenrir? Wenn du sie schon bespannen musstest, hast du sie hoffentlich wenigstens nicht allein gelassen?" Blinzelnd stand Ben vor ihr und wusste nicht so recht was er sagen sollte. Er hatte das Gefühl, dass es nicht das war, was Layla hatte sagen wollen, doch er war dankbar dafür, dass sie ihn nicht durchlöcherte. Das war eine von vielen Dingen, die er an seine Ärztin schätzte. Selbst wenn sie etwas wusste, so fragte sie nicht nach oder bohrte in Dingen, die man ihr nicht verriet.

Das hieß, wenn sie denn tatsächlich etwas wusste.

Es war schlecht zu sagen, ob sie den Punkt über Ben nur gemustert hatte, weil er dorthin gestarrt hatte, oder weil sie tatsächlich etwas gesehen hatte.

"Ich...", begann er, doch Layla unterbrach ihn mit einem genervten Stöhnen und einem sehr tadelnden Blick. "Das arme Mädchen. Sicherlich hast du sie mit deinen Aktionen wieder völlig verstört", warf sie ihm zwar mit ruhigen, aber durch aus sehr vorwurfsvollem Ton vor.

Ben verzog seine Lippen zu einem gezwungenen Lächeln, das sie lediglich eine ihrer weißen Brauen heben ließ, bevor sie die Hand hob und sich die Nasenwurzel massierte.

"Ihr macht mir alle samt Probleme", murmelte sie und wies Ben dann an, zu gehen, als wenn dieser Raum, oder gar das ganze Schiff ihr gehören würde.

"Geh!", blaffte sie ungehalten und zwängte sich an Ben vorbei um in Richtung Bad zu verschwinden. "Und ich erwarte von dir bessere Manieren", erklärte sie mit mütterlicher Strenge, während sie ihm im Vorbeigehen einen Finger gegen die Nase hielt, bevor sie mit schwingenden Hüften davon stolzierte, während ihr weißer, flauschiger Wolfsschwanz, im Takt zu ihrem Gang hin und her schwang.

Ein durch aus angenehmer Anblick, wenn man von ihr nicht gerade zurechtgewiesen wurde.

Benjamin rieb sich halb belustigt, halb bedröppelt die Nase, nur um dann mit einem leichten Schmunzeln seinen Weg in den gemeinsamen Speiseraum fort zu setzen.

Wieder einmal, stellte Benjamin fest, musste er sich schon fast selbst dafür Loben, was für ein gutes Team er sich da zusammen gesucht hatte.

 

Als Benjamin den Speiseraum betrat, hatten sich viele seiner Crew schon eingefunden, sodass eine rege Unterhaltung entstanden war. Und als der Kapitän den Raum betrat, richteten sich viele Blick auf ihn und begrüßten ihn mit freudigen, oder leuchtenden Augen. Etwas, dass ihn selbst dazu brachte, sich mit einem Grinsen zu ihnen zu gesellen.

"Hey Leute." Er hob eine Hand zur Begrüßung und man antwortete ihn mit ähnlichem Gruß oder Stimme.

"Kapitän", grinste Vaith, während Grace, die neben dem Blonden saß, eine Hand zum Gruß hob und ihm ein warmes Lächeln schenkte.

Finn hingegen nickte ihm zu, und auch Kouga tat es ihm gleich.

Jeffrey grinste breit, hatte sich zu seinem Kapitän umgedreht und saß nun breitbeinig auf der Bank, wo er die Hände flach auf das Holz gelegt hatte und seine Oberschenkel darauf gelegt hatte. Es ließ ihn spitzbübischer wirken und mehr wie einen kleinen aufgeregten Jungen. Bis plötzlich Kimora gegen seine Schläfe schnipste und er ein "Au!" von sich gab, bevor er sie aus dunklen Augen heraus schmollend anblickte.

Es brach allgemeines Gelächter aus, doch Kimora selbst, zeigte sich recht unbeeindruckt und knabberte an einem Holzstäbchen, auf dem ein gegrillter Fisch aufgespießt war.

"Kimora!" Blinzelte Benjamin überrascht, als er die Koi- Meerjungfrau neben seinem Kämpfer sitzen sah. Die Scharfschüftzin der Crew richtete ihren ozeanfarbenen Blick auf Benjamin.

"Kapitän", murmelte sie und schaute dann zur Seite weg, als währe sie peinlich berührt, was ihn lediglich dazu brachte, leicht zu lächeln. "Willkommen zurück." Er legte ihr kurz eine Hand auf die Schulter, was sie widerstandslos geschehen ließ und nickte lediglich, als Benjamin sich Richtung Küche abwandte, die durch ein offenes Fenster gut einsehbar war.

Dort und zwischen den weißen Dunstschwaden, stand eine junge Frau die ihm selbst vielleicht gerade mal bis zur Brust reichen mochte. Sie besaß schwarzblaues Haar, dass ihr in zwei Zöpfen, welche mit je einer rosafarbenen Schleife geschmückt waren, bis zur Brust reichte. Mit zierlichen Händen, wandte und drehte sie sich zwischen den Herdplatten und Kochstellen hin und her, während ihre absinthgrünen Augen, wie zwei Edelsteine zu funkeln schienen. Wenn Benjamin ihr so zu sah, hatte er das Gefühl als wenn sie zu einer ihm unhörbaren Musik, zwischen all den Pfannen und Töpfen hin und her zu tanzen schien. Ein Rhythmus, der ihn grinsen ließ. Und zwischen ihren Drehungen und ihren Handgriffen, bewegte sich etwas. Es besaß mittelbraunes, weiches, schimmerndes Fell, und dunkle, schwarze Knopfaugen. Der Teddy, welcher  ohne Zweifel einer war, bewegte sich und sprach auch mit dem jungen Ding. "Kiki, vergiss die Rüben nicht. Kiki, die Schnitzel brennen an! Kiki, mein Fell brennt!", plapperte er ununterbrochen und schien kontinuierlich in dunkler, rauchiger Stimme die junge Dame an alles mögliche zu erinnern. Wenn Benjamin ihn in seiner Umgebung hätte, würde er durch drehen, doch Kiki, wie die Schiffsköchin hieß, blieb ruhig, schien komplett auf das fokussiert, was sie tat und ließ sich nicht einmal von ihrem Teddy ablenken.

"Ich weiß, Anoik", murmelte sie nur zwischendrin immer mal wieder.

 

2352 Wörter besitzt dieses Kapitel