11.Kapitel: Wie Obsidian und Violett

Erst um ein Vielfaches später, als die anderen sich bereits zu Bett begaben und Kiona noch die Küche aufräumte, begannen die Lider Fenrirs zu flackern, bevor sie schließlich mit einem leisen Stöhnen wieder zu sich kam.

Benjamin saß noch immer am Kopfende des Tisches, hatte die Arme unter der Brust verschränkt, während sein Kinn auf seiner Brust lag. Unter seinen geschlossenen Augenlidern konnte man sehen, wie sich seine Augen bewegten, was mehr als nur deutlich daraufhin wies, dass er träumte.

Als Fenrir ihre Augen aufschlug, war das Erste was sie wahrnahm das Geklapper von Geschirr in der Küche, die hinter ihr lag.

Langsam und vorsichtig, erhob sie sich auf ihre Ellenbogen und sah sich ein wenig verloren um. Zuerst viel es ihr schwer, zu verstehen, wo sie war, da noch immer ein schwerer Schatten über ihr lag, der von einem Alp sprach.

Obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, fröstelte es sie dennoch. Zudem hatte sie das seltsame Gefühl als wäre dieser Alp von Wichtigkeit gewesen, doch so sehr sie auch versuchte sich zu erinnern, es wollte ihr nicht gelingen.

Also versuchte sie das Gefühl los zu werden, dass es wichtig war und drehte langsam den Kopf.

Was sie sah, war ein großer Raum mit einem langen Tisch und Bänken an den Seiten. Zwei Stühle markierten die Kopfenden des Tisches. Er war aus dunklem, polierten Holz gefertigt und ruhte auf massiven Tischbeinen, die ein wenig an die Tatzen eines Raubtiers erinnerten.

Auf dem Tisch, stand eine frische Blumenvase mit einem kleinen Strauß aus Tulpen und grünen Blättern. Unter der Vase war eine weiße, schmale Tischdecke ausgebreitet worden und zu beiden Kopfenden hin, gab es silberne Obstschalen, in denen sie Äpfel und Mandarinen ausmachte.

Beim Anblick des Obstes rief ihr Magen ihr mit Macht entgegen, dass er seit einiger Zeit nichts bekommen hatte. So stark knurrte er, dass es beinahe schmerzte, doch bevor sie aufstand und sich einen Apfel aus der Schale nahm, sah sie sich weiter um.

Sie selbst lag auf einer ziemlich altmodisch wirkenden Couch, welche mit dicken in rotem Samt gehaltenen Polstern ausgestattet war. Die Polster gingen in einem ähnlich dunklen Holz über wie der Tisch und besaß eine ähnliche machart.

Es mochte wohl der selbe Schreiner gewesen sein, der diese Möbelstücke geschaffen hatte, denn sie erkannte die Handschrift in dem Werk, sowohl in der Couch, als auch in dem Tisch wieder.

Außer der Couch, gab es noch diverse Schränke in ähnlicher Machart und aus dem gleichen dunklen Holz. Es drückte etwas den Raum und ließ ihn kleiner wirken, doch immer wieder wurde das dunkle Holz von hellen Aktzenten durchbrochen, sodass es einem nicht so schnell auf das Gemüt schlug. Eher sorgte es so, für eine gewisse Gemütlichkeit. Fast, als würde sie in einem Wohnzimmer stehen und nicht in einem Speiseraum auf einem Schiff.

Dennoch war der Raum als solcher deutlich zu erkennen.

Eine Turmuhr zeigte ihr an, dass es auf die Mitte der Nacht zuging.

Für einige mochte das beständige Ticken einer solchen Uhr ein Graus sein, doch auf Fenrir besaß es einen beruhigenden Effekt, zumal sie eine Weile lang und ohne darüber nach zu denken, dem Pendel zu sah, wie es hin und her schwenkte, hinter seiner schmalen Glaswand.

Die Turmuhr war dem Rest der Möbel angepasst, aber deutlich mehr verziert. Man konnte die Sorgfalt und die Liebe in diesem Möbelstück beinahe schon schmecken, was auf die rosahaarige junge Frau eine seltsame Faszination ausübte.

In dem dunklen Holz waren Ornamente von Mystischen Fabelwesen dargestellt. Doch nicht nur die Fabelwesen machten das Möbelstück so faszinirend, sondern wie sie in dem Holz verarbeitet wurden. Als wenn sie sich bewegen und Atmen würden.

Als währen sie lebendig, würden sich gleich aus dem Holz herauslösen und miteinander tollen, so wie das Bild sie miteinander zeigte. Drachen, Feen, Greifen und andere Wesen. Ihre Züge waren nicht gefährlich, sondern verspielt, elegant und erhaben.

Dieses Kunstwerk war wahrlich etwas besonderes.

Ein Geräusch ließ Fenrir den Kopf drehen.

So tief war sie in ihre Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkt hatte, wie das Geklapper in der Küche nachgelassen hatte.

Das Geräusch das sie aus ihren Gedanken geschreckt hatte, war von einem Tablett verursacht worden, das nun unweit von ihr auf dem Tisch stand. Kiona war gerade dabei einen Teller, eine Schüssel und einen Becher auf dem Tisch ab zu stellen und schenkte Fenrir ein warmes, aufmunterndes Lächeln, als ihre Blicke sich kreuzten.

"Du hast bestimmt Hunger", meinte die junge Frau, die auf Fenrir beinahe noch mädchenhaft wirkte.

Sie konnte kaum älter als zwei dutzend sein, wenn sie diese überhaupt schon erreicht hatte.

Gerade erst zur Frau herangereift.

Doch als Fenrir in ihr Gesicht und in die Augen dieser Frau blickte, dann würde sie sich davor hüten, diese zu unterschätzen.

Etwas, dass ihr nicht nur bei Kiona aufgefallen war.

Alle hier an Bord, die sie gesehen hatte, besaßen etwas, dass ihrem Inneren riet, keinen von ihnen zu unterschätzen.

Was Fenrir dazu brachte zu Benjamin hinüber zu sehen.

Kiona folgte ihrem Blick und lächelte leise. "Er war den ganzen Abend hier, seit dem du diesen Anfall hattest und hat darauf gewartet, dass du aufwachst." Einen Moment lang ruhte der grüne Blick der jungen Köchin noch auf ihrem Kapitän, bevor sie sich wieder Fenrir zuwandte und dann auf den Teller verwies. "Iss etwas, das wird dir helfen, einige deiner Kräfte zurück zu bekommen."

Fenrir ließ sich indes nicht ein Drittes mal bitten und stand auf, um sich dann über das Essen her zu machen. Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal etwas zwischen die Zähne bekommen hatte, aber das Essen, was Kiona ihr vorgesetzt hatte, war ein Geschenk für sie.

Während Fenrir die dampfende Mahlzeit verschlang, schmunzelte Kiona und ging zurück in die Küche, wo sie ihre letzten Aufräumarbeiten vornahm und die Dinge weg räumte, die sie bereits für den nächsten Tag vorbereitet hatte.

Fenrir selbst, obwohl mit dem Essen vollauf beschäftigt, war froh für den Moment in Ruhe gelassen zu werden. Sie hatte das Gefühl, dass sie in den letzten Tagen kaum zur Ruhe gekommen war und jetzt einfach mal für sich zu sein und ein wirklich gutes Essen genießen zu können, war ein weiteres Geschenk, für das sie Kiona deutlich dankbar war.

Erst als sie gesättigt und zufrieden das Besteck beiseite legte und die Mahlzeit restlos verputzt hatte, gesellte sich Kiona wieder zu Fenrir, in dem sie ihr das Geschirr abnahm und zurück in die Küche ging.

Fenrir sah ihr nach und wäre beinahe zusammengezuckt, als sie plötzlich das Rascheln eines umgeschlagenen Blattes in einem Buch, unweit von ihr vernahm.

Ihr Blick glitt den Tisch entlang und ziemlich weit außen, auf der anderen Seite, saß Vaith, der in einem Buch laß.

Irrtiert blinzelte sie.

Seit wann saß er bereits dort?

Und wieso hatte sie ihn nicht bemerkt?

Der blonde Viezekapitän und somit rechte Hand von Benjamin schien Fenrirs Blick bemerkt zu haben, denn er hob nun den Kopf.

Er sah ihr kaum länger als einen Moment in die Augen, bevor sich seine Mundwinkel hoben. Unwillkürlich hatte sie das Gefühl, als hätte er ihre Gedanken gehört.

Seine nächsten Worte, schienen ihr dies auch zu bestätigen.

"Seit dem du aufgewacht bist und sogar noch etwas länger", erklärte er belustigt, schob seine Brille ein Stück weit höher und klappte das Buch zu, wobei er einen Finger auf der Seite ließ, die er so eben gelesen hatte.

"Ich sehe es hat dir geschmeckt."

Fenrir spürte, wie ihre Wangen heiß wurden und sah hastig vor sich auf den Tisch, nur um dann etwas zaghaft zu nicken. "Sehr", murmelte sie und hörte zu gleich, wie Vaith sich von seinem Platz erhob um sich direkt vor sie an den Tisch zu setzen.

"Das hört man gern. Kiona ist eine exelente Köchin, aber selbst ein guter Koch hört es gern, wenn man sein Essen schätzt", erklärte er im Plauderton und lehnte sich etwas zurück um Fenrir genauer zu mustern.

"Wie geht es dir?", fragte er nach einer ganzen Weile, in der weder sie, noch er etwas gesagt hatten.

Fenrir hob zaghaft den Blick und musterte Vaith verstohlen, bevor sie ihm eine Antwort gab.

"Ich denke gut." Sie lächelte etwas scheu.

Vaith nickte und bedankte sich bei Kiona, als sie ihm eine dampfende Tasse hinstellte, bevor sie wieder in der Küche verschwand.

Erstaunt sah Fenrir ihr nach. Sie hatte nicht bemerkt, das Vaith etwas bei ihr bestellt hätte, was darauf hinwies, das Kiona ihm ohne ein Wort die Tasse gebracht hatte.

Und so, wie Vaith wirkte, war es genau das, was er gewollt hatte, denn er nahm einen tiefen Schluck von dem Gebräu und schien ihn sichtlich zu genießen.

Es sagte Fenrir etwas über Kiona.

Und zwar dass sie sehr aufmerksam war.

Ohne Zweifel eine gute Eigenschaft, wie Fenrir bewundernd feststellte.

"Das freut mich zu hören, ich hatte schon Sorge, dass der Anfall seine Spuren hinterlassen würde."

Das hatte Kiona auch schon gesagt: Das Fenrir einen Anfall gehabt hatte. Langsam ließ sie die Tasse in ihrer Hand sinken, von der sie so eben genippt hatte.

Sie sagte nichts, aber innerlich fragte sie sich, was die beiden meinten.

Von einem Anfall wusste sie nichts, doch sie konnte sich noch daran erinnern, dass sie mit den anderen am Tisch zu Abend saß. Daran, wie überreichlich der Tisch gedeckt war und an die vertraute und harmonische Atmosphäre, die zwischen diesen Menschen geherrscht hatte, die sie zu sich an den Tisch gelassen hatten.

Und an Vaith.

Sie hob den Blick.

An die Gedanken die sie über ihn hatte und das er derjenige war, der sie aus dem Wasser gezogen hatte, als man sie im Meer treibend fand.

"Danke", sagte sie einer plötzlichen Eingebung folgend und Vaith hob eine Braue.

"Wofür?", fragte er neugierig.

Verlegen spielte sie mit der Tasse in ihrer Hand. "Ich hörte du wärst ins Meer gesprungen als klar wurde, dass ein Mensch dort trieb. Ich möchte dir dafür danken, dass du mich ohne zu zögern gerettet hast."

Erstaunt blinzelte er, bevor er bescheiden abwank. "Ach das", sagte er und lächelte schmal. "Es war nichts Großartiges und jeder andere hätte es auch getan."

Doch hier schüttelte Fenrir wehement den Kopf. "Nein, eben nicht", gab sie bestimmt zurück und verblüft sah er ihr in die funkelnden Augen.

Schließlich musste er ergeben Lächeln. "Vielleicht hast du recht, aber ich bin mir sicher, du zumindest hättest dasselbe für mich, oder für jeden anderen auch getan."

Sie zuckte mit den Schultern. "Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Ich danke dir dennoch", erklärte sie mit Bestimmtheit. "Ich schulde dir etwas dafür und ich werde diese Schuld begleichen", fügte sie noch hinzu und ihre Stimme ließ keinen Widerspruch zu.

Es überraschte Vaith, doch er wollte ihr auch nicht widersprechen. Einen Gefallen bei jemanden einfordern zu können, war sicherlich niemals falsch.

Und wer weiß, bei was Fenrir ihm eines Tages noch helfen konnte.

Also nickte er nur, was Fenrir schließlich erwiderte.

Wieder entstand Stille.

Doch dann fiel ihr Blick auf das Buch, das Vaith noch immer in der Hand hielt.

Es war ein alter Band und die Seiten waren schon vergilbt, doch die schwarzen Lettern auf dem sandfarbenem Grund, waren noch immer deutlich zu erkennen. 

"Das ist...", hauchte sie mit großen Augen.

Vaith folgte ihrem Blick und betrachtete kurz das Buch, bevor er es ihr widerstandslos hinüber schob.

Eherfürchtig nahm sie das Buch entgegen und drehte es so, dass sie die Schrift nun ohne Probleme lesen konnte.

"Ja", sagte er bedächtig und beobachtete sie genau, während sie die erste Seite aufschulg und langsam begann, darin herum zu blättern.

"Es gibt nur noch eine Handvoll von diesen Büchern, woher hast du es?" Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch der blonde Vize verstand sie gut genug.

"Es ist nicht meines. Es gehört Jeffrey. Er war so freundlich es zur Verfügung zu stellen um einige Theorien zu überprüfen."

"Welche Theorien?", fragte sie, ohne auf zu sehen.

"Nun, der Stamm der in diesem Buch erwähnt wird. Wir hofften eine Verbindung zu dir ziehen zu können", gab er freimütig von sich.

Nun blickte sie doch auf und für einen Moment hielt der Vize den Atem an.

Für einen Moment war ihm so, als würde er in einen tiefen Abgrund sehen oder in einen Brunnen, in dem so eben ein Tropfen Wasser gefallen war.

"Ihr vermutet ich stamme von ihm ab?", fragte sie vorsichtig und Vaith neigte leicht den Kopf.

Wieso wurde er das Gefühl nicht los, dass sich ihre Vermutung gerade auflöste, wie eine Seifenblase?

Waren ihre Augen schon immer so intensiv Violett gewesen?

Ihre Mundwinkel hoben sich ganz leicht, als würde sie ein Geheimnis kennen, dass sie jedoch nicht mit ihm teilen würde.

War es das, was Finn gemeint hatte? Das etwas nicht mit ihr stimmte?

"Das ist der falsche Pfad" Wie in Trance vernahm er ihre Stimme und konnte sich kaum aus seiner Starre lösen.

Seine Gedanken schienen ihm zwischen den Fingern zu zerfasern, während ihre Stimme wie dunkles Obsidian um seine Ohren strich.

"Folgt einem anderen Pfad", riet sie mit dieser seltsam verzerrten, dunklen Stimme, die drohte, seinen Verstand zu vernebeln.

"W-welchen?", brachte er mühsam in einem Versuch hervor, sich gegen diese Trance zu stemmen.

Für einen Moment erschien ihm das Violett erstaunt, doch dann lächelte es wie eine Katze, die den Vogel zwischen den Pfoten hielt.

"Im Gleichgewicht. Zwischen Himmel und Erde. Zwischen Dunkel und Licht. Zu allem existiert ein Gegenstück", flüsterte die Stimme, während sie ihm zu gleich die Sinne raubte. In einem letzten Versuch, krallte er seine Finger in das Holz des Tisches und biss die Zähne fest aufeinander.

"Mehr", quetschte er hervor und das Violett schien ihn auf zu saugen.

"Des Teufelskraft besitzt einen Ursprung, finde ihn." Dann brach das Violett über ihn herein und er gab den Widerstand auf, brach in sich zusammen und sah noch, die Welt an sich vorüber ziehen.

 

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