8.Kapitel: Himmelblaues Misstrauen

"So sollte es gehen", strahlte eine junge Frau Fenrir an, die inzwischen in einem anderen Raum untergekommen war. Noch immer befanden sie sich im Schiffsbauch. Nachdem Benjamin Fenrir einfach stehen gelassen hatte, war kurz darauf Layla aufgetaucht. Die Ärztin hatte sich die Rosahaarige geschnappt und war mit ihr in einen anderen Raum gegangen. Dieser Raum war etwas größer als das Arztzimmer und bot genügend Platz für einen mannshohen Spiegel mit Goldrahmen, vor dem Fenrir nun stand. Während die fremde Frau, die Fenrir als Celeste vorgestellt worden war, noch hier und dort an ihr herum zupfte um ihre Kleidung zu sortieren, nutzte die Rosahaarige die Zeit um sich im Raum genauer um zu sehen. Der Raum war achteckig angeordnet. Wenn man von der Tür her, hereinkam dann hatte man einen direkten Blick auf den hohen und breiten Spiegel, der einem als erstes ins Auge viel. Neben dem Spiegel waren auf beiden Seiten je drei lebensgroße Puppen, die mit fertigen, oder halbfertigen Kleidungsstücken besetzt waren. Zwei von den insgesamt sechs Puppen, waren sogar leer. Die Puppen auf der rechten Seite waren der weiblichen Form nachempfunden, während die drei linken Puppen, einem Männerkörper entsprachen.

Neben den Puppen und dem Spiegel gab es noch ein hohes und breites Standpult, so wie einen Drehhocker, der davor stand. Auf dem Pult konnte Fenrir Papiere erkennen, die mit Zeichnungen versehen waren. Auf die Entfernung konnte sie die Linien und Striche, so wie Buchstaben nur erahnen, dennoch konnte sie die Rohentwürfe von Kleidungsstücken ausmachen.

Desweiteren gab es Schränke, Regale, Kisten und Komoden, die die Wände bis zur Gänze einnahmen. Diese waren mit Verschiedenem gefüllt und es wirkte alles etwas durcheinander, dennoch erschien es Fenrir als würde es hier eine gewisse Ordnung geben.

Alles schien seinen Platz zu finden. Vielleicht gab es einfach nur von dem einen oder anderen ein wenig zu viel, sodass die Schränke und Schubladen überquollen und dadurch unordentlich wirkten.

Die Mitte des Raumes war frei geräumt und mit einem kreisrunden, großen weißen Teppich aus gelegt, der sich unter Fenrirs nackten Füßen flauschig und weich anfühlte.

Wie das Schiff, waren auch die Wände und der Boden aus Holz und obwohl es dadurch dunkler wirken sollte, so war das Zimmer doch hell und freundlich, ja beinahe schon gemütlich.

Was vor allem der hervorragenden Deckenbeleuchtung zu schulden war. Denn die Lichter waren hier großzügig in der Decke eingelassen worden und sie waren klein. Klein und rund und ihr Licht war hell, aber warm.

Die Wände an sich, waren mit Verschiedenem befüllt. Dort wo keine Regale, oder kein Schrank war, dort gab es eingerahmte Entwürfe, oder einfach nur angeheftete Entwürfe. Es gab sogar einige Bilder, die fertig waren und besonders diese, zogen Fenrirs Aufmerksamkeit auf sich.

Viele der fertigen Bilder zeigten Kleider. Die meisten davon sehr ausladend und in Fenrirs Augen vielleicht etwas zu pompös und unpraktisch. Doch es gab auch schlichtere Bilder, die Fenrirs Neugier weckten.

Celeste, wie die Braunhaarige hieß, die Fenrir gerade neu eingekleid hatte, bemerkte den Blick der Rosahaarigen und folgte diesem. Ein warmes Lächeln schlich über ihre Züge. "Gefallen sie dir?"

"Sie sind wunderschön", gab sie leise, aber ehrlich von sich.

Es stimmte. Einige der Entwürfe und Entbilder mochten nicht Fenrirs Geschmack treffen, aber es änderte nichts daran, dass diese Ideen wundervoll waren.

Jedes Kleidungsstück besaß etwas, was es einzigartig machte.

Und wenn es nur ein besonders raffinierter Schnitt war.

Celeste hatte ihren Blick wieder abgewand und zog eine Nadel aus Fenrirs Kleid, dass sie in ein Nadelkissen steckte, dass sie, wie ein Armband, um ihr linkes Handgelenk geschnallt hatte.

"Sind das deine Entwürfe?", fragte Fenrir und sah die Frau vor sich an. Sie besaß kastanienbraunes Haar, dass ihr offen bis zur Taile reichte. Eine Strähne fiel ihr ins Gesicht und mit einer fließenden Bewegung setzte Celeste sie wieder hinter ihr Ohr.

"Ja", gab sie schlicht Antwort und erhob sich aus ihrer knienden Position, um ihre Hände in die Hüften zu stemmen und ihr Werk zu begutachten.

"Es ist eine Art Hobby von mir." Sie schenkte Fenrir ein warmes Lächeln und Fenrir spürte, wie Hitze in ihre Wangen schoss. Igrendwie war es ihr peinlich, wenn Celeste sie so direkt ansah und so lächelte.

Statt etwas dazu zu sagen, gab Fenrir nur eine Art zustimmenden Laut von sich.

"Sag mir, wie du es findest", meinte Celeste, als sie hinter Fenrir ging und ihre Hände auf die zierlichen Schultern der Rosahaarigen legte. Etwas von der Berühung überrascht, war Fenrir zunächst kaum in der Lage die Worte der jungen Frau zu verstehen, bis ihr Blick von allein in den Spiegel wanderte. Und was sie sah, erstaunte sie.

Fenrir trug ein hellblaues Sommerkleid, mit breiten Trägern und einem Herzausschnitt. Der Rock fiel in breiten Falten bis über ihre Knie und war ein wenig ausgestellt, doch nicht genug um ihr im Weg zu sein. Den Saum des Kleides zierte eine dünne, weiße Spitze, die mehr ein einfaches Zirat war, als wirklich auffällig. Von der Hüfte auf, war das Kleid figurbetont und saß Fenrir wie angegossen. Zusätzlich stützten zwei Bügel, direkt am Brustansatz ihren Busen, sodass er ein wenig gedrückt wurde, aber nicht direkt hervor quoll.

"Dreh dich um", meinte Celeste leise und Fenrir konnte Stolz in der Stimme der jungen Frau hören.

Fenrir drehte sich um.

Celeste nahm einen Großteil ihrer Haare und beförderte sie über die rechte Schulter Fenrirs, damit die junge Frau einen guten Blick auf den Rücken des Kleides hatte.

Und es verschlug ihr fast den Atem. So schlicht das Kleid von vorne auch sein mochte, hinten besaß es definitiv einen Hingucker. Der komplette Rücken, bis hin zum Hüftansatz war mit weißer Spitze überzogen, hinter der man Fenrirs Haut sehen konnte.

Als Fenrir es sah, gab sie einen überraschten Laut von sich.

"Sag mir, was du davon hältst", drängte Celeste mit glänzenden Augen. Doch Fenrir fand zunächst keine Worte.

Hatte sie jemals schon einmal ein schöneres Kleid getragen?

Sie wusste es nicht, aber sie fand dieses Kleid fantastisch.

"Es ist toll!", gab Fenrir inbrünstig von sich und drehte sich im Spiegel.

Es war schwer zu glauben, dass sie dieses Kleid trug und es nicht einfach nur eine Art seltsamer Traum war.

"Dann ist es perfekt!", verfügte Celeste mit Stolz in der Stimme und grinste breit, bevor sie sich vom Spiegel abwandte und Fenrir nun direkt zuwandte.

"Und jetzt gehört es dir", entschied sie mit fester Stimme.

Fenrir stand nur da und wusste kaum, was sie sagen sollte, außer: "Danke."

 

~ * ~ * ~ * ~

 

Benjamin seufzte zufrieden und bedankte sich bei Kiona als sie ihm einen Becher mit Kaffee hin stellte. Der Teddybär der auch zuvor schon in der Küche bei ihr gewesen war, saß auf ihrer linken Schulter und betrachtete den Kapitän aus seinen dunklen Knopfaugen heraus. "Genieße ihn, es könnte dein Letzter sein", ließ der Teddy verlauten und Ben hob eine Braue.

"Anoik!", scholt Kiona ihren Teddy und warf ihm einen bösen Blick zu. Doch der Teddy nahm nur seine Poften und legte sie auf die Wangen des Mädchens, wo er sie zusammen presste.

"Klappe Kio!", befahl er. "Ich warne ihn ja nur vor!"

Kionas Brauen zogen sich zusammen, als sie nuschelte: "Isch, koche aber garnischt so schlecht Koffee!" Zum einen sah es unheimlich ulkig aus, zum anderen brachte auch die Art, wie Kiona es sagte, den Kapitän ungewollt zum Schmunzeln.

"Ich sagte ja auch nicht, dass du ihn schlecht kochen tust!", beschwerte sich der Teddy und setzte seine Pfoten in seine Seiten. "Ich habe nur darauf hingewiesen, dass der Kaffee sein Letzter sein könnte!"

Bevor die durchaus unterhaltsame Diskusion zwischen Teddy und Herrin weiter ging, räusperte sich Benjamin. "Wie kommst du zu der Annahme, es könnte mein Letzter sein?" Anoik, der Teddy von Kiona, war in der Regel nicht sonderlich freundlich zu den Menschen in seiner Umgebung, aber dennoch hatte er einem der Crewmitglieder noch nie etwas tun wollen.

Die Unfreundlichkeit des Teddys und dessen Charakter war mehr ein Unfall gewesen. Zumindest laut Juniper, der Wissenschaftlerin, die dem Teddy erst sein Leben ermöglicht hatte.

Mehrmals schon hatte sie versucht den Code, der den Charakter des Teddys bestimmte, um zu schreiben, doch in den meisten Fällen hat es nicht funktioniert und der Code hat sich wieder von allein in den Urspungszustand gebracht, oder der neue Code hat nicht viel länger als ein paar Stunden gehalten. So hatte sich Kiona irgendwann mit dem Teddy arrangiert und auch die restlichen Crewmitglieder konnten mit dem vorlauten Plüschbären leben.

Von Autorität hatte der Teddy von Anfang an nicht viel gehalten und so plauderte das Plüschtier gerade das heraus, was ihm durch seine künstlichen Schaltkreise schoss, die ihm in seinen, mit Watte ausgestopften Körper eingepflanzt worden waren.

Benjamin konnte sich nicht mehr genau daran erinnern wie Juniper es geschafft hatte, Kiona so weich zu buttern, dass sie die Erlaubnis erhielt, den Teddy der jungen Frau auf zu schneiden und ihm Leben ein zu hauchen.

Bis heute war sich der Kapitän der White Flame noch nicht so ganz einig, ob er es begrüßte, dass Kiona nun einen sprechenden, vorlauten Teddy an ihrer Seite hatte, oder ob er seine Wissenschaftlerin dafür verfluchen sollte. In jedem Fall machte der Teddy einen sehr lebhaften Eindruck und hielt bisweilen nicht nur Kiona auf Trapp.

Langweilig wurde es mit den Plüschtier zumindest nie.

"Khan hat etwas in die Kanne, in der Kio immer den Kaffee brüht, hinein getan und ich bin mir nicht sicher ob es gesund ist", meinte der Teddy hilfreich und deutete auf den noch dampfenden Becher in den Händen des Dunkelhaarigen.

Benjamin blinzelte auf sein Getränk hinab und hob schließlich aus reiner Neugierde den Becher an, um daran zu riechen.

"Anoik! Wann hattest du vor mir das zu sagen?", beschwerte sich Kiona und plusterte die Backen auf, was nicht nur Benjamin zum Schmunzeln brachte.

"Gar nicht, aber ich will ja nicht, dass unser Kapitän krepiert nur weil er deinen Kaffee trinkt!", gab er spitz zurück und Kiona gab einen empörten Laut von sich.

 

Jeffrey, der das ganze mit einem Ohr und einem seitlichen Blick beobachtet hatte, nahm sich aus einer Schüssel, die auf dem Tisch stand eine Handvoll bereits geknackter, Haselnüsse und steckte sich eine in den Mund. Während Benjamin skeptisch seinen Becher mit dem dunklen Getränk musterte, schweifte der dunkle Blick des Blasshäutigen zu Kiona. Sie war mit einem guten Abstand die Jüngste der Crew, was man ihr unter anderem an ihrem kindlichen Äußeren auch sehr leicht abnahm.

Sie hatte gerade die Zwanzig überschritten und war damit gute zwei Jahre jünger als die Nächste in der Crew.

Obwohl die Frauen im Schnitt fast alle jünger waren als die Männer dieses Schiffes, so wirkt Kiona auf ihn doch noch sehr jung.

Immer wieder hatte sich Jeffrey gefragt, warum Benjamin sie auf diesem Schiff hatte.

Gut, sie war eine wirklich hervorragende Köchin und er liebt was sie kochte. Aber er verstand nicht, wie jemand so Junges bereits so früh auf einem Piratenschiff sein musste.

Was hatte sie in ihren jungen Jahren erlebt, dass es sie auf dieses Schiff bewegte? Im vollen Bewusstsein, dass dies eine Piratencrew war.

Er selbst hatte nicht gewusst, wohin er hatte gehen sollen, nachdem Benjamin und die anderen ihn gefunden hatten.

Aber jemand wie Kiona? Ihr stand die Welt offen und sie war bereits jetzt schon eine begnadete Köchin. Sicherlich hätte sie über all in die Lehre gehen können.

Abwesend kaute er auf einer neuen Nuss herum, wobei sein Blick noch immer auf der jungen Köchin lag, die sich leise mit ihrem mechanischen Teddy stritt.

Plötzlich spürte er ein Gewicht an seinem Rücken und warmen Atem an seinem Ohr.

"Worüber denkst du nach, während du unsere kleine Köchin so anschmachtest?", hauchte es in sein Ohr und automatisch zuckte Jeffrey zusammen, bevor er für einen Moment erstarrte. Erst dann drehte er sich zu Kimora, die ihn breit und vielleicht ein bisschen zu biestig angrinste, während sie scheinbar unschuldig mit den Wimpern klapperte.

Er zog die Brauen zusammen. "Ich schmachte niemanden an", knurrte er und verzog das Gesicht.

Dennoch konnte er einen leichten Rotschimmer auf seinen Wangen nicht verbergen. Etwas das der Koi-Meerjungfrau natürlich nicht entging, wofür sie dann auch eine ihrer feingeschwungenen Brauen hob.

"Natürlich nicht", gab sie voller Ironie zurück und Jeffrey gab lediglich ein genervtes Stöhnen von sich.

"Ich war in Gedanken, falls es dir nicht aufgefallen ist", knurrte er und schob sich wütend eine weitere Nuss in den Mund um energisch darauf herum zu kauen.

Kiona lehnte sich wieder zurück und das Gewicht und die Wärme die sie ausstrahlte verschwanden. Dafür hob sie ihre Hände und zuckte mit den Schultern, als würde es sie nichts angehen.

Manchmal konnte er sie dafür hassen, dass sie ihn so genau beobachtete.

"Wolltest du dich nicht hinlegen?", keifte er leise. Es entlockte ihr jedoch nur ein schmales Lächeln.

 

Noch während Jeffrey sich mit Kimora ablenkte, schielte Kiona zu ihnen hinüber und betrachtet den Hinterkopf des Blasshäutigen, während Anoik ihr weiterhin irgendetwas an den Kopf warf und mit ihr schimpfte.

Es war nur ein kurzer, wenn gleich auch nachdenklicher Blick, doch dann wandte sie sich wieder ihrem Teddy zu und lief mit ihm meckernd in die Küche.

 

Benjamin folgte ihr mit seinem Blick und zog eine Braue hoch, bis er sie nicht mehr sah. Erst dann drehte er sich wieder um und musterte nun Jeffrey, der sich in einem angeregten Gespräch mit Kimora befand. Irgendetwas schien die Meerjungfrau zu amüsieren, während Jeffrey weniger begeistert wirkte.

"Interessantes Verhalten, findest du nicht auch?" Benjamin zuckte so sehr zusammen, dass seine Knie gegen die Unterseite der Tischplatten schlugen und es einmal kräftig rummste. Der gesamte Tisch erzitterte und die Köpfe flogen zu ihrem Kapitän herum. Dieser starrte mit großen Augen auf den Ursprung dessen, was ihn derart erschrocken hatte.

Der Grund war leicht und eigentlich hätte Ben ihn riechen müssen, bevor er überhaupt auch nur in seine Nähe gekommen war.

Shirkhan besaß einen äußerst penetranten und aufdringlichen Geruch, genauso aufdringlich, wie sein Aufzug des öfteren war. Auch heute übertraf er sich mit in Sachen Farbe wieder selbst. Ausnahmsweise war es mal kein Yuckata, sondern eine Hose, dessen Grund tiefgrün war, während die Streifen, die Senkrecht von Oben nach unten verliefen, ein knalliges Orang bildeten.

Sein Oberteil war in einem dunklen Blau getüncht und wie üblich für ihn, mit einem mehr als großzügigen V Ausschnitt. Wie auch sonst für ihn, gab es seine Krokodilslederschuhe, die nicht nur Benjamin wirklich hässlich fand.

Es gab noch jemand, der diese Dinger wirklich verabscheute.

"Khan!", fluchte Benjamin und sah seinen Alchemisten vorwurfsvoll an. "Verdammt, ich krieg noch mal'n Herzifarkt nur wegen dir!", knurrte er und rieb sich gestresst die Nasenwurzel.

"Verzeihung", grinste der Mann und neigte den Kopf auf die Seite, was in seiner momentanen Haltung zu unschuldig für diesen Typen war.

Er hockte neben Benjamin, sodass seine Augen gerade so über den Tisch schielten und lächelte zu seinem Kapitän hinauf, als würde er ein Kind anlächeln.

Genauso wirkte auch die Haltung in welcher er neben Benjamin verharrt war.

Wie er dort unbemerkt hingelangen konnte, war Benjamin ein Rätsel.

Aber er vermutete dass es etwas mit dem Gebräu in dem Becher zu tun haben könnte, vor dem Anoik ihn ja bereits gewarnt hatte.

"Ich habe nicht erwartet, dass du gleich tot umfallen würdest. Obwohl es sicherlich interessant sein dürfte eine noch warme Leiche zu öffnen und zu druchsuchen. Vielleicht könnte ich ja dein Gehirn entnehmen und es Dr. Juniper geben. Vielleicht erfahren wir dann, was in deinem brilianten Kopf vor sich geht?" Nun neigte er den Kopf auf die andere Seite und klapperte erwartungsvoll mit den Wimpern, wobei er die Hände an sein Gesicht gelegt hatte.

Automatisch nahm Benjamin eine Haltung ein, die ihn etwas von dem Alchemisten entfernte.

"Ich...", begann er, wurde sogleich jedoch von dem Alchemisten wieder unterbrochen.

"Keine Sorge, wir würden es anschließen und lediglich analysieren wollen. Ich hatte nicht vor es mit quecksilber ein zu streichen um zu sehen was passiert." Benjamin zog seine Brauen zusammen und schielte etwas verwirrt und hilflos zu den anderen, doch keiner schien bereit, seinen Kapitän vor seinem wahnsinnigen Alchemistin zu retten.

"Ich hab auch noch nicht drüber nachgedacht, was passiert, wenn ich dir eine Quecksilberkugel in die Schulter einpflanze. Ist dir die Narbe am rechten Schlüsselbein schon mal aufgefallen?", plauderte Shirkhan fröhlich vor sich hin und rutschte ein Stückchen näher an seinen Kapitän.

"Erzähl mir wie dein Wohlbefinden ist. Hast du den Kaffee schon probiert?"

Ben kam nicht umhin die Augen zu weiten und seinen Alchemisten schockiert an zu sehen, welcher geduldig auf seine Antworten wartete. Dabei hatte der sonst doch recht attraktive Mann, dessen rechtes Auge hinter einer schwarzen Augenklappe verborgen lag, ein strahlende, unschuldiges Lächeln auf den schmal geschnittenen Lippen.

Einige seiner kupferfarbenen Strähnen hingen ihm etwas ins Gesicht sodass sie diesen unschuldigen Eindruck nur noch zu verstärken schienen.

Und ohne es zu wollen, musste sich Benjamin fragen, wie er sich diesen schrägen Typen nur hatte anlächeln können?

Stille herrschte vor, bis diese plötzlich von einer recht scharf klingenden Stimme durchschnitten wurde. "Mit dir ist alles in Ordnung Benjamin, mach dir keine Sorgen. Und Khan." Jemand trat an Shirkhans und somit auch an Benjamins Seite. Tief rote Augen bohrten sich mahnend in das eine, stechend blaue des Alchemisten, während sie ihre Hand hob und dem Alchemisten mit dem Knöchel ihres Zeigefingers, gegen den Scheitel schlug. "Hör auf den anderen ständig Ammenmärchen zu erzählen, die sie auch noch glauben, nur um ihre Reaktionen zu analysieren. Als wenn ich meine Arbeit schlecht machen würde", beschwerte sich Layla und stemmte eine Faust in ihre Taille.

Shirkhan sah zu der Ärztin auf und seufzte, nur um sich dann zu erheben und sich dann zu verbeugen. "Natürlich, Lady Ärztin, verzeiht dass ich Euch Ärger bereitet habe." Obwohl sein Ton voller Demut erschien, war es das spitzbübische Grinsen auf seinen Lippen so gar nicht, als er, noch immer in der Verbeugung, zu ihr hinauf schielte. 

"Hmpf!", gab sie von sich und wandte ihren Blick dann den anderen anwesenden am Tisch zu, nur um sie einen nach den anderen eingehend zu mustern. Die meisten wichen ihrem Blick aus, als wäre es ihnen unangenehm.

Es errinerte ein wenig an Kinder die von ihrer Mutter gescholten wurden.

Selbst Benjamin hatte das Gefühl, als wenn er etwas Falsches getan hatte, als ihr intensiver Blick sich auf ihn richtete. Was absurd war, denn er hatte nichts getan.

Nichts für das er sich jedenfalls schuldig fühlen müsste.

Wenn überhaupt sollte sich Khan bei ihm entschuldigen. 

Er war der Kapitän!

Doch bevor er seine Gedanken weiter ausbauen konnte, strafte ihn der Blick Lalyas die seine Gedanken beinahe gelesen zu haben schien.

Schließlich hob er die Hände um zu zeigen, dass er sich ergeben hatte. Aus Erfahrung wusste er, dass es nichts brachte seiner Ärztin zu widersprechen. Sie war stur und unnachgiebig und er hatte wenig Lust, seine Sturheit an ihr zu zermürben. Er würde diesen Kampf ohnehin verlieren.

Sie nickte zufrieden.

"Wenn wir denn jetzt soweit wären." Sie hob die Hand und bedeutete Shirkhan, der in seiner Verbeugung verharrt war, wie ein ihr ergebener Diener, sich zu den anderen zu setzen. Er erhob sich und setzte sich ans andere Kopfende des langen gemeinschafts Tisches, wo sein Stammplatz war und er alles und jeden gut im Blick hatte. Vielleicht nicht der geeigneteste Platz um im Mittelpunkt zu sitzen und sich den Alltag der anderen an zu hören, aber sicherlich der beste Platz um dennoch alles mit zu bekommen, was wichtig für ihn war.

"Würde ich sagen, begrüßen wir endlich unseren Gast." Mit der anderen Hand deutete sie auf den weit geöffneten Eingang, in welchem, etwas unangenehm berührt, Fenrir stand, dessen Finger sich in den weichen Stoff eines himmelblauen Kleides krallten, das ihrer Figur ungemein schmeichelte. Direkt neben ihr stand Celeste, die zufrieden mit ihrem neusten Designerstück wirkte. Und deren Augen dabei strahlten, dass alle Aufmerksamkeit nun auf ihnen beiden lag.

Bei all der Aufmerksamkeit die Fenrir gewahr wurde, biss sie sich sichtlich nervös auf die Unterlippen und automatisch suchte sie Blickkontackt zu jemanden den sie kannte.

Benjamins dunklen Augen waren wie gebannt auf sie gerichtet, schienen jedes Detail an ihr zu verinnerlichen. Unwillkürlich wich sie ihm aus und sah hilfesuchend zu Layla, während sie gleichzeitig spürte, wie ihre Ohren allmählich heiß wurden.

Die Ärztin schenkte ihr ein warmes, aufmunterndes Lächeln, dass das Herz der jungen Frau ein wenig beruhigte. Obwohl Fenrir inzwischen dazu gekommen war, dass sie Ben vertrauten konnte, so strahlte Layla jedoch etwas tiefes, beruhigendes aus, in dem sich die junge Frau zurück ziehen konnte, falls es notwendig wurde. So wie in diesem Moment. 

Celeste hingegen genoss es sichtlich, dass alle Augen sich auf Fenrir und zum Teil auch auf sie gerichtet hatten.

Doch die Unruhe der anderen, neben ihr veranlasste sie dazu, zu Fenrir zu sehen und ihr einen kurzen, mitleidigen Blick zu schenken, bevor sie sich ungefragt bei der jungen Frau einhackte und sie zum Tisch der Crew zerrte.

Fenrir die darüber mehr als überrascht war, hatte einen Moment lang Schwierigkeiten, der doch recht rasch voranschreitenden Frau hinter her zu kommen.

Vielleicht nichts Ungewöhnliches. Jeder wäre vermutlich überrascht gewesen, wenn man plötzlich vorran gezerrt wurde und damit nicht rechnete. Doch insbesondere Kimora viel der winzige Unterschied auf.

Für die anderen mochte es nichts zu bedeuten haben, doch Kimora sah es.

Die Knie der jungen Frau sackten im ersten Schritt ein wenig weg, bevor sich Fenrir einigermaßen fing und Celeste mit schweren Schritten folgte. Erst kurz vor dem Tisch schien Fenrir die Leichtigkeit ihres Ganges wieder zu finden.

Für Kimora eindeutig ein zu langer Weg um sich zu fangen.

Man hätte es auf das leichte Schaukeln des Schiffes schieben können, dass durch die, ständig gegen das Schiff schwappenden Wellen, verursacht wurden. Doch Kimora kannte den Unterschied.

Sie hatte bereits viele Menschen auf Schiffen beobachtet und selbst die Unerfahrenen, hätten sich schneller wieder gefangen als es Fenrir tat.

Als Kimora damals zum ersten mal auf festen Boden mit ihren neuen Füßen gelaufen war, war ihr Gang schwerfällig gewesen und jede kleine Unachtsamkeit, oder Welle hatte sie entweder zu Fall gebracht oder zum Stolpern. Oft genug hatte sie sich irgendwo abstützen müssen um nicht auf den Knien oder ihren Hintern zu landen.

Erst mit viel Übung war sie sicherer geworden und selbst heute noch hatte sie manchmal Schwierigkeiten zu laufen. Besonders wenn sie erst Schwimmen war und sich ihre Flosse wieder in ihre Beine verwandelten, mit deren Hilfe sie an Land gehen konnte.

Aber selbst wenn sie länger an Land war, hatte sie es mit plötzlichen Bewegungen nicht leicht und sie musste sich stets darauf konzentrieren, wie sie lief, damit ihr Gang nicht zu schwerfällig wirkte oder sie stolperte.

Und genau das war es, was sie stutzen ließ.

Ein Mensch hätte sich nach drei Schritten gefangen.

Wäre Kimora an Fenrirs Stelle gewesen hätte sie ähnlich lange gebraucht, um sich zu fangen wie sie.

Natürlich könnte es auch einfache Einbildung sein oder sie interpretierte zu viel in diese Kleinigkeit hinein, dennoch ließ es die Koi-Meerjungfrau nicht los und ihr Verdacht würde einiges erklären.

Sie sah sich verstohlen um, doch niemand schien ihre Gedanken zu teilen.

Eher bemerkte sie mitleidige Blicke der anderen.

Vielleicht war Kimora einfach ein wenig zu Misstrauisch, aber wenn sie recht hatte... konnte das alles oder nichts für sie bedeuten.

Und insgeheim beschloss die Meerjungfrau sich von Fenrirs unschuldigem Aussehen nicht Täuschen zu lassen.

Sie war eine Fremde und es war besser sich Fremden gegenüber vorsichtig zu verhalten, als es später böse zu bereuen.

 

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